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Varanasi, 16. Januar 2001

Es ist abends und ich sitze in einem Internet-Shop. Gestern Morgen kam ich gegen 7 Uhr nach 31-stündiger Fahrt in Varanasi an. Zwischendurch stand der Zug mehrfach irgendwo in der Pampa rum, einmal sogar 4 Stunden. In Indien spielt Zeit keine so große Rolle und so regte ich mich nicht auf, sondern ging mit einigen anderen aus meinem Wagon zu einem Chai-Verkäufer in der Nähe, schlürfte 2 kleine Tonschälchen aus, die man hinterher wegschmeißt und nutzte die Zeit, ein paar Postkarten zu schreiben. Später hockte ich in Naini auf einem Bahnhof, wo ich auf meinen Anschluß nach Varanasi wartete. Ich unterhielt mich mit den Polizisten, die dort rumsaßen und aufpaßten. Es war ziemlich kalt, aber mit einigen heißen Chais kein Problem. Die Polizisten hatten Kautabak im Mund und boten mir auch welchen an. Da ich noch nie welchen probierte, ließ ich mir ein bischen zwischen Zähne und Unterlippe bröseln. Als ich anfing zu kauen, sagten sie, ich solle dies nicht tun, sondern es einfach nur so 5 Minuten lang im Mund behalten, wenn es mir nicht schmeckt, solle ich es einfach ausspucken. Da es ziemlich wiederlich war, tat ich es auch. Kurze Zeit darauf merkte ich, daß sich meine Wahrnehmung änderte, als ob ich was geraucht hätte. Nach einigen Minuten ließ das aber zum Glück wieder nach.
Bis Allahabad waren es nur 7 km, aber mein angeblich superschneller Zug legte dort erst einmal eine halbe Stunde Pause ein. Da alle Plätze im Wagon belegt waren, setzte ich mich auf den letzten freien Sitz direkt neben der Tür. In Allahabad angekommen stürmten Menschen herein, traten mir auf den Füßen herum und stritten mit den Leuten, die mit ihrem Gepäck raus wollten. Man drängelte, drückte und schimpfte einander, bis einige Polizisten kamen, die das Problem lösten, indem sie die Drängler rauszerrten, um die anderen erst austeigen zu lassen. Es zog kalte Luft herrein und sobald ich die Tür geschlossen hatte, flog sie wieder auf, Verkäufer kamen Chai Chai Coffee Chai brüllend herrein und andere folgten mit Gürteln, Ketten, Pullovern und Decken behangen. Eigentlich wollte ich nicht meinen Schlafsack auspacken, aber dann tat ich es doch und verkroch mich vollständig, sodaß nur noch ein kleines Luftloch blieb und die Schuhe am unteren Ende rausguckten.


In Varanasi angekommen, ließ ich mich von einer überteuerten Autoriksha zur Altstadt am Ganges fahren. Ein Junge wollte mich für 100 Rupie eine Stunde im Boot rumpaddeln, aber da ließ ich mich nicht drauf ein und lief ein Stück am heiligen Fluß entlang. Danach ging ich auf Schlafplatzsuche und fragte zielgerichtet nach einem Zimmer für 40 Rs. Als ich das 3. Hotel wieder verlassen hatte, rief man mich wieder zurück und ich bekam ein Zimmer mit Bett, Regal und Fenster zu meinem Wunschpreis.
Beim weiteren Stadtbummel ohne dicken Rucksack traf ich einen jungen Fotograf aus den USA, den ich wegen seiner Hasselblad 501 CM Mittelformatkamera ansprach. Er saß neben einem Sadu mit verfilzten Haaren und Stirnbemahlung, der erzählte, er esse Menschenfleisch, das er aus dem Ganges holt. Gehirne seien besonders delikat, er versuchte zu erklären, wie er diese zubereitet und hätte auch gerade eins in seiner Tasche.
Der Fotograf hatte genauso wie ich einen knurrenden Mangen und wir machten uns auf die Suche nach einem Restaurant, das besonders gut sein sollte. Die Leute, die wir fragten, zeigten in verschiedene Richtungen oder wollten uns dort hinbringen, was sich aber als ihr eigenes Geschäft entpuppte. Als wir es endlich gefunden hatten, stellte ich fest, daß es ziemlich teuer war. Weiterhin stand in der unteren Ecke der Speisekarte ein kleingedrucktes plus 8% service charge. Ich aß eine Pizza für 54 Rupie, die besonders dick war und auch ganz gut schmeckte. Nebenbei kam ein kleiner buntgeschmückter Festzug mit Pauken und Trompeten vorbeigelaufen, die eine in farbige Tücher gewickelte und mit Blumenkränzen geschmückte Leiche durch die Straßen trugen. Allesdings machten die Leute keinen besonders traurigen Ausdruck.
Nach dem Essen schauten wir in einem Internet-Shop nach unseren mails und wir verabschiedeten uns, weil ich noch etwas länger bleiben wollte. Danach lief ich am Ufer entlang. Es ging ein Ghat ins andere über und die Treppenstufen führten von weit oben bis tief in Wasser. Man kann sich gar nicht richtig vorstellen, wie es wirkt, wenn der Ganges während der Monsunzeit auf 500 m Breite anschwillt und außerdem noch um viele Meter ansteigt. Schließlich erreichte ich eines der beiden Verbrennungsghats, wo täglich etwa 50 Menschen eingeäschert werden. Es brannten mehrere Scheiterhaufen und in der Luft lag der Geruch von gebratenem Fleisch. Aus einem Haufen ragte ein Oberkörper schräg herraus. Der Kopf war stark nach nach hinten geknickt, als schaue der schmorende Mensch zum Himmel, das Gesicht wirkte krampfhaft erstarrt und die braune Haut fing ebenso wie an einigen anderen Stellen des Körpers an, langsam einzureißen und das weiße Fleisch schimmerte hervor. Aus einem anderen Haufen hing verkohlter ein Arm, an dessen Hand man die einzelnen Fingerknochen erkennen konnte. Ein Mann der rumlief, schob Reste von Körperteilen in die Glut, damit diese ganz verbrennen. Es war schon ein seltsames Gefühl, das anzusehen.
Auf dem weiteren Weg sah ich spärlich bekleidete Yogis, die sich teilweise etwas unsicher bewegten, als hätten sie Koordinationsprobleme. Auf dem Wasser schwommen Boote, auf den Treppenstufen standen Kühe. Ziegen sprangen durch die Gegend, Hunde lagen überall in der Sonne und es wimmelte von Touristen. Alle paar Meter fragte man, ob ich nicht Boot fahren, Postkarten oder andere Sachen kaufen will. Schließlich heuerte ich ein Boot für eine Stunde. Es war ganz nett und ich machte ein paar Fotos von den krummen schiefen Häusern und Menschen, die sich am Ufer wuschen und manchmal völlig mit Seifenschaum bedeckt waren. Als ich mich kurz vor Ende der Stunde am Ufer absetzen ließ, statt mich auf noch eine weitere einzulassen, wollte der Bootfahrer mindestens 50 Rupie haben, weil er mir so viel über die Ghats erklärte und ich fotografierte. Sein Englisch war kaum verständlich und viel hatte er auch nicht erzählt, also gab ich ihm nur die am Anfang ausgemachten 40 Rs. Er tat beleidigt und stellte sich stur, aber ich blieb es auch und nachdem ich eine Minute lang stillschweigend mit verschränkten Armen vor ihm stand, sah er es ein.
Mein Film war voll und ich frage mich wirklich, wie megabescheuert ich doch bin, die Kamera zu öffnen, ohne ihn vorher zurückzuspulen. Gerade auf diesem Film hatte ich besonders interessante Motive. Ich trank frisch gepreßten Bambussaft und ging auf die Suche nach einer Bank, da ich nur noch 11 Rupie besaß. Die Banken, die ich fand, konnten keine ausländische Währung tauschen. Man gab mir die Adresse einer Bank, wo das möglich ist, allerdings war diese mit ihrer Öffnungszeit von 11 bis 14 Uhr bereits geschlossen. Private Geldwechsler waren weit und breit nicht bekannt, was mich für einen solchen Touristenort ziemlich verwunderte. Ich fand ein Hotel mit Tauschmöglichkeit, allerdings war mir der Kurs zu schlecht. Zur Not notierte ich die Adresse und nach einigem suchen begegnete ich einen jungen Postkartenverkäufer, der mich zu einem Geldwechsler bringen konnte.



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Wenn ich mal viel Zeit und Muße habe, werde ich mein Tagebuch weiter abschreiben.
Momentan habe ich dazu keine Lust.
Das ist nämlich noch drei mal so viel, wie hier steht.





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